Samstag, 20. Mär 2021
Als die Regierung die Bewilligung für eine Bierbrauerei in Ruggell verweigerte
Enttäuschung Im Frühjahr 1971 hatte die Gemeinde Ruggell die Hoffnung, dass sich ein internationaler Betrieb ansiedeln könnte. Aus dem Traum wurde bald eine Enttäuschung, weil die Regierung unter dem Druck der Industrie die Bewilligung verweigerte. Hinter den Kulissen mischte auch Fürst Franz Josef II. mit, was den Ausschlag für die Verweigerung der Regierung gab.
Die Gemeinde Ruggell Anfang des Jahres 1971: Ein Dorf mit 866 Einwohnern und etwas über 50 Landwirtschaftsbetrieben, 173 Autos und drei Gasthäusern. Beinahe drei Viertel der Voll- und Teilzeitbeschäftigten waren in der Landwirtschaft tätig, der Rest in den gewerblichen Kleinbetrieben, einige in der «Textilia Wirkwarenfabrik», die bis 1974 Strümpfe und Strumpfhosen produzierte.
Obwohl Ruggell schon eine Industriezone im Zonenplan ausgeschieden hatte, blieb die kleine Gemeinde bis dahin von der Industrie als Standort unentdeckt. Weitgehend unbeachtet blieb im Rest des Landes ebenso, dass sich die Ruggeller in den ersten Monaten 1971 mit einer Betriebsansiedlung beschäftigten, und zwar überwiegend positiv.
Am Sonntag, den 4. April 1971, fand auf Veranlassung des Gemeinderates eine Bürgerbefragung statt, die ein äusserst positives Resultat ergab: 174 Ruggeller sprachen sich für die Zulassung einer Bierbrauerei aus, nur 25 äusserten Bedenken und votierten mit Nein!
Eine Bürgerbefragung war für eine Betriebsansiedlung ein eher ungewöhnliches Instrument und sollte wohl Vorsteher Hugo Oehri und dem Gemeinderat den Rücken stärken, die sich für das Projekt ausgesprochen hatten. Ein Brief des Vorstehers an die Regierung deutet in diese Richtung, denn in diesem Schreiben heisst es, das Abstimmungsergebnis zeige, «dass die Bürger von Ruggell sehr daran interessiert sind, dass diese Konzession erteilt wird».
Nach Ruggell war offensichtlich schon die Kunde durchgedrungen, die Regierung stehe vor der Bewilligung unter Beschuss, einer ausländischen Firma die Konzession für eine Bierbrauerei zu erteilen.
Deshalb setzte der Vorsteher in seinem Schreiben noch etwas Druck an die Regierung auf: «Mit grosser Sicherheit kann angenommen werden, dass bei einer Ablehnung des Ansuchens die Firma im benachbarten Rheintal errichtet wird und unserer Gemeinde ein ansehnlicher Steuerbetrag verloren ginge.»
Darum ausgerechnet Ruggell
Wie kam der international bekannte Bierhersteller «Henniger Brauerei» aus Frankfurt ausgerechnet auf den Standort Ruggell? Nicht direkt, sondern über eine Firma aus Liechtenstein. Mitte Dezember 1970 richtete der Fürstliche Justizrat Alois Vogt, ein früheres Regierungsmitglied, als Mittelsmann oder Treuhänder ein Gesuch an die Regierung: Die Regierung wolle der «Meba Metallbau Aktiengesellschaft Balzers» die Bewilligung erteilen, ihren Sitz und ihre Betriebsstätte von Balzers nach Ruggell zu verlegen und die Konzession mit folgendem neuen Wortlaut abändern: «Zweck der Gesellschaft ist der Betrieb einer Brauerei und aller diesem Zwecke dienlichen Nebengeschäfte, insbesondere der Vertrieb eigener Produkte en Gros.»
Die Henninger Brauerei habe der «Meba» das Angebot unterbreitet, steht in diesem Gesuch, die Metallbaufirma zu kaufen und eine Brauerei zu eröffnen. Ausserdem sollte das Unternehmen seinen Sitz nach Ruggell verlegen – und zwar aus Gründen des Arbeitsmarktes: In Ruggell seien noch freie Arbeitskräfte vorhanden, etwa junge Bauern, die eine Halbtagsbeschäftigung suchten.
Zudem wurde die Grenznähe von Ruggell erwähnt, womit es leichter falle, in der benachbarten Schweiz und in der Nachbarschaft Vorarlbergs nach Arbeitskräften zu suchen, die bis anhin noch nicht für den liechtensteinischen Arbeitsmarkt rekrutiert worden seien.
Gesamthaft rechne die Henninger Brauerei beim Beginn der Brautätigkeit mit knapp 40 Arbeitskräften, wenn aber der jährliche Ausstoss der anfangs geplanten 60 000 Hektoliter erhöht werde, könnte der Bedarf an Personal etwas höher ausfallen. Die Brauerei kündigte an, «junge Liechtensteiner als Brauerei-Ingenieure» auszubilden, damit in wenigen Jahren einheimisches Personal für die Leitung der Brauerei und die Produktion zur Verfügung stehen würde. Zudem teilte das Frankfurter Brauerei-Management der Gemeindevorstehung in einem Schreiben mit, «Henniger International» sei bereit, Aktien an investitionswillige Ruggeller Bürger abzugeben.
Bürger waren eindeutig dafür
Nach der Bürgerbefragung, die eine hohe Zustimmung für eine Ansiedlung der Brauerei signalisierte, bewilligte der Ruggeller Gemeinderat am 8. April 1971 den Bodenverkauf an Henninger.
In der Widau wurde dem Unternehmen ein Gelände von 2000 Klafter zum Preis von 35 Franken pro Klafter überlassen, versehen mit dem Vorbehalt, dass die Brauerei die erforderliche Konzession von der Regierung erhalte. An die Erschliessungskosten des Baugeländes – für die Zufahrtsstrasse, Kanalisation und Wasseranschlussgebühren – hatte die Brauerei weitere 31 Franken pro Klafter zu entrichten. Der Gemeinderatsbeschluss enthielt auch die Klausel, dass die Gemeinde das Grundstück ohne Zinsvergütung zurückkaufen könne, sofern der Betrieb nicht im Zeitraum von eineinhalb Jahren aufgebaut werde. Das Unternehmen musste zudem die Verpflichtung eingehen, bei der Errichtung des Gebäudes «die in der Gemeinde ansässigen Unternehmer und Handwerker zu berücksichtigen».
Widerstand ohne Referendum
Das Referendum gegen den Gemeinderatsbeschluss wurde nicht ergriffen, aber es regte sich doch etwas Widerstand gegen das Projekt. Aufgrund eines Artikels im «Liechtensteiner Vaterland», der die von der Henninger Brauerei genannten Zahlen über die geplante Bierproduktion und das dafür benötigte Personal hinterfragte, gab das Ingenieurbüro Fritz Kutter aus Zürich eine Stellungnahme ab. Das «Spezialbüro für die Getränkeindustrie» setzte hinter die Rentabilität einer Brauerei mit 50 000 Hektoliter ein Fragezeichen und wies auf die Bier-Situation in der Schweiz hin, wo etliche Brauereien um ihre Existenz kämpften.
Auch die Zahlen über das Personal erschienen Kutter als zu niedrig angegeben, denn nach seiner Auffassung könne keine Brauerei, «selbst bei Vollautomatisierung», mit nur 37 Mann einen Ausstoss von 50 000 Hektoliter pro Jahr bewerkstelligen – mindestens 60 Personen müssten es sein. Gesamthaft bezeichnete der Getränke-Ingenieur das Projekt als «schöne Orgelmusik», gab aber doch zu verstehen, man könne die Zukunft ja nicht genau voraussagen.
Die kritische Stellungnahme des «Spezialbüros für die Getränkeindustrie» fand in der Öffentlichkeit wenig Resonanz. Erst ein Artikel im «Volksblatt» mit dem Titel «Braucht Liechtenstein eine Brauerei?», der am 28. April 1971 erschien, zeigte auf, was sich hinter den Kulissen in dieser Frage schon alles bewegt hatte.
Die Nachricht über die geplante Errichtung eines Brauerei-Betriebes in Ruggell sei erwartungsgemäss in den Industriekreisen nicht mit Freude aufgenommen worden: «Man verweist speziell auf die äusserst angespannte Arbeitsmarktlage, die durch die Errichtung eines neuen Betriebes nur noch unnötig verschärft würde.» Man könne sich denken, blickte das «Volksblatt» in die Zukunft, dass «unsere Industrie einiges daransetzen wird, um der Verwirklichung des Brauereiprojektes entgegenzuarbeiten». Zwei Tage nach diesem Beitrag folgte eine kurze Stellungnahme im «Vaterland», die der «Volksblatt»-Forderung über eine bessere Information in dieser Angelegenheit beipflichtete und dabei die einseitige Informationspolitik der Gemeinde und der Betreibergesellschaft kritisierte: «Die Befürworter haben gesprochen, wann melden sich die Gegner?»
Das sprach gegen die Ansiedlung
Zu den Gegnern der Henninger Brauerei gehörten, wie zwischen den Zeilen aus den Zeitungen herausgelesen werden konnte, die Industrie sowie die einheimischen und benachbarten Bierdepothalter: Die Industriekammer befürchtete ein Wettrennen um Arbeitskräfte, während die Verteiler des Gerstensaftes einen potenten Konkurrenten verhindern wollten.
Der Ruggeller Gemeindevorsteher richtete deshalb nochmals ein Schreiben an die Regierung, um auf die Finanzlage der Gemeinde aufmerksam zu machen, die eine Aufbesserung durch eine neue Einnahmequelle gut gebrauchen könnte. Die Vorbehalte der Bierdepothalter sei kein Ablehnungsgrund, schrieb der Vorsteher weiter, denn einige Gemeinden in der schweizerischen Nachbarschaft hätten mit Schreiben an die Henninger Brauerei ihr Interesse an der Ansiedlung der Brauerei bekundet und zugleich «günstige Bodenangebote» gemacht.
Fast zeitgleich erhielt die Regierung ein weiteres Schreiben «einiger Bürger der Gemeinde Ruggell», das nochmals die Gründe für eine Betriebsbewilligung für die Henniger Brauerei auflistete. Einleitend wurden finanzielle Aspekte hervorgehoben, die zu erwartenden Steuereinnahmen sowie die Aufträge für das lokale Gewerbe im Rahmen des Bauvorhabens. Dann folgten Ausführungen über neue Berufschancen für die vorwiegend in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte und die Aussichten für die Landwirtschaft, die Braugerste anbauen könnte. Zusammenfassend gelangten die intervenierenden Bürger zum Fazit: «Mit grosser Sicherheit kann angenommen werden, dass bei einer Ablehnung des Ansuchens die Firma im benachbarten Rheintal errichtet wird und unsere Depothalter ebenfalls mit der befürchteten Konkurrenz zu rechnen hätten – und der Gemeinde Ruggell und unserem Land ein ansehnlicher Steuerbetrag verloren ginge.»
Erst am Parteitag der FBP, am 5. Juli 1971 in der «Linde» in Schaan, wurde bekannt, wie die Regierung über das Ansuchen der Henniger Brauerei entschieden hatte. Der Obmann der Ortsgruppe Ruggell teilte der Versammlung mit, dass die Ruggeller Delegation aus Protest am Parteitag fehle – aus Protest, weil die Regierung das Konzessionsgesuch abgelehnt habe, obwohl sich bei der Bürgerbefragung rund 85 Prozent für die Brauerei ausgesprochen hätten.
Den FBP-Regierungsmitgliedern, Regierungschef-Stellvertreter Walter Kieber und Regierungsrat William Hoop, wurde der Vorwurf gemacht, nicht geschlossen für das Brauerei-Gesuch eingestanden zu sein. Unter Beschuss stand vor allem Walter Kieber, der laut «Volksblatt» eine «klare und offene Erklärung» abgab, die aber weder zusammenfassend noch im Wortlaut abgedruckt wurde.
Über die Entscheidung der Regierung, die nie offiziell bekannt gegeben wurde, was auch das «Vaterland» offen kritisierte, entspann sich in der Folge ein parteipolitischer Schlagabtausch zwischen den Zeitungen. Aber auch aus dieser «Pressefehde» lässt sich nicht herauslesen, was zur Entscheidung der Regierung geführt hatte.
Erst Arno Waschkuhn fasste in den Politischen Schriften etliche Jahre später zusammen, was über den «Mundfunk» darüber herumgeboten worden war. Die erste Abstimmung in der Regierung sei mit 3 gegen 2 für das Vorhaben ausgegangen: Neben den beiden FBP-Regierungsmitgliedern habe auch VU-Regierungsrat Andreas Vogt für die Brauerei gestimmt, also gegen den eigenen Regierungschef. Nach diesem positiven Abstimmungsresultat habe Regierungschef Alfred Hilbe erklärt, Fürst Franz Josef II. sei «absolut gegen die Brauerei», nachdem die Industrie- und Handelskammer auf ihn mit dem Argument eingewirkt hatte, die Brauerei könnte das Lohnniveau in der Industrie durcheinanderbringen.
Zweite Regierungsentscheidung auf Schloss Vaduz in die Wege geleitet
Die zweite Regierungsentscheidung wurde dann laut Arno Waschkuhn auf Schloss Vaduz in die Wege geleitet: «Beim Treffen mit dem Fürsten auf Schloss Vaduz las Franz Josef II. den Regierungsmitgliedern die Leviten. Regierungschef-Stellvertreter Kieber fügte sich, weil er seine Entlassung befürchtete. Auch Vogt gab nach. Nur Hoop sollte nach FBP-Weisung stur bleiben und blieb unbeirrt bei seinem Votum, was dem Fürsten durchaus Respekt abnötigte.»
In der folgenden Regierungssitzung behandelte die Regierung nochmals die Brauerei-Konzession. Ergebnis: Ablehnung mit 4 gegen 1 Stimme!
Quellen
«Liechtensteiner Volksblatt»
«Liechtensteiner Vaterland»
Arno Waschkuhn: «Kontinuität und Wandel». Politische Schriften Band 18.
Archiv der Gemeinde Ruggell