suche navigation

Presseartikel

 
Samstag, 26. Sep 2015

Umweltgerechtes Verhalten braucht Vorreiter in Gemeinschaft

Veränderung Unter dem ehrgeizigen Titel «Handle für den Wandel!» geht die Cipra-Jahresfachtagung dieses Wochenende in Ruggell der Frage nach, wie umweltfreundlicheres Handeln gelingen kann und ob es ermutigende Beispiele dafür gibt.

Das Thema der Tagung sei allemal mutig gewählt, befand Umweltamtsleiter Helmut Kindle in seiner Begrüssung vor den zahlreich im Ruggeller Gemeindesaal erschienenen Teilnehmern aus allen sieben Alpenländern. Wie oft wollen Menschen ihr Verhalten ändern – aber sind das nicht zumeist Neujahrswünsche? Umweltfreundlicheres Verhalten kann gelingen, meinte der Umweltamtsleiter, und die Politik könne ihren Beitrag dazu leisten, wenn sie die richtigen Rahmenbedingungen setze. Auch kleine Änderungen, so Kindle, könnten letztlich grosse Auswirkungen haben. Vor wenigen Jahren gab es zum Beispiel noch keine Elektrofahrzeuge auf Liechtensteins Strassen, heute seien es schon 62. Auch die Zahl der Hybridfahrzeuge sei mittlerweile auf 332 angestiegen. Noch kleine Zahlen, gewiss, aber eine ermutigende Steigerung, so Kindle. Auch das betriebliche Mobilitätsmanagement bei der Landesverwaltung habe anfangs nur bescheidene Erfolge gezeigt, heute werde es gut genutzt. Verantwortlich dafür sind nicht nur Push-Massnahmen wie die Einführung gebührenpflichtiger Parkplätze, sondern auch Anreize. So bekommt jeder Mitarbeiter, der aufs Auto verzichtet, einen monatlichen Bonus und einen 50-Prozent-Zustupf zum öV-Aboticket. Den öffentlichen Verkehr mit kürzeren Wegen und direkten Anschlüssen vor allem für Pendler attraktiver zu machen, sei ein wichtiges Ziel der Regierung. Auch die Gemeinden seien beim Umweltthema mit an Bord, sagte Helmut Kindle. Schliesslich seien alle elf Gemeinden zertifizierte Energiestädte. Bei der pro Kopf der Bevölkerung installierten Solarleistung ist Liechtenstein im Übrigen europäischer Spitzenreiter.

Vom Wissen zum Tun

Nachdem auch die Ruggeller Vorsteherin Maria Kaiser-Eberle die Tagungsteilnehmer in vier Sprachen begrüsst hatte und sich von Umweltamtsleiter Helmut Kindle ein Lob dafür abholen durfte, der Gemeinde mit der grössten installierten Solarleistung landesweit vorzustehen, leitete Katharina Conradin, Präsidentin von Cipra International, zum Tagungsthema über. «Es ist nicht genug zu wissen, man muss das Wissen auch anwenden können», meinte Conradin, indem sie Goethe zitierte. «Wir werden täglich mit Nachrichten vom fortschreitenden Klimawandel konfrontiert, Arten verschwinden, der Verkehr nimmt zu – wir wissen genug, aber es ist enorm schwierig, unser Verhalten zu ändern», so Conradin. Deshalb sei das Tagungsthema «Handle für den Wandel! Damit es nicht bei Absichtserklärungen bleibt» ganz bewusst gewählt worden.

Materielles macht nicht glücklicher

Die Schweizer Umweltpsychologin Annette Jenny gab anschliessend in ihrem Eröffnungsreferat einen Überblick über die wichtigsten Fragen und Erkenntnisse der Umweltpsychologie und der Suffizienzforschung. Letztere beschäftigt sich mit der Frage, ob ein genügsameres Leben auch ein gutes Leben sein könnte. Die Umweltpsychologie geht der Frage nach, was Menschen zu umweltbewussterem Handeln bewegen kann bzw. welche Hindernisse sich dabei in den Weg stellen. Keine Frage, der Ressourcenverbrauch ist vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg exponenziell angestiegen. Selbst die Schweiz beansprucht heute mehr als das Doppelte von dem, was die Erde nachhaltig zur Verfügung stellen kann. Verantwortlich dafür ist laut Annette Jenny die Entwicklung und Ausbreitung eines wachstumsbasierten Wirtschaftsmodells mit einer gleichzeitig entstehenden Konsumgesellschaft. Die Stärkung materialistischer Werte mit der Botschaft, dass Erfolg und Glück in materiellen Dingen, Status und Reichtum zu finden sei, prägt mit ihren Konzepten von Wachstum, Mobilität und Fortschritt inzwischen auch die mentale Infrastruktur der Menschen. Aber mehr Konsum macht nicht glücklicher, sondern führt zur Gewöhnung an ein höheres Konsumniveau, zur Steigerung der Ansprüche und zum sozialen Vergleich mit den Nachbarn. Um Menschen zu umweltfeundlicherem Verhalten zu bewegen, muss nicht nur das Wollen, sondern auch das Können und das Tun gestärkt werden, weiss Umweltpsychologin Jenny. Wichtig sind Einzelne Vorreiter, die sich nicht fragen, ob ihr Beitrag überhaupt etwas bewirken kann oder die sich überlegen «Warum gerade ich?» Werden einzelne dann in eine grössere Gruppe eingebunden, steigen die Erfolgschancen für Verhaltensänderungen. Auch ein genügsameres Leben funktioniert besser in Gemeinschaft, wenn gleichzeitig Autonomie und Freiwilligkeit gestärkt werden, Resilienz gegen materialistische Werte und soziale Vergleichsprozesse aufgebaut und psychische Ressourcen wie die Genussfähigkeit gestärkt werden.