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Presseartikel

 
Montag, 22. Nov 2021

Ruggeller Riet: Reisfeld, Flugplatz oder Naherholungsgebiet

Visionen Seit 43 Jahren steht das Ruggeller Riet unter Naturschutz und teilt sich seine Naturfunktionen mit der Landwirtschaft. Wie aber sieht die Zukunft aus, fragten Luis Hilti und Toni Büchel vom Verein Elf am Samstag in eine grössere Exkursionsrunde vor Ort auf feuchter Wiese.

Wie können und/oder sollen sich Natur- und Siedlungsräume in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiterentwickeln? Mit dieser Frage im Gepäck touren Luis Hilti und Toni Büchel seit 2019 als Verein Elf jedes Jahr durch jeweils eine der elf Gemeinden und laden Bevölkerung und Experten zu Diskussionsrunden über gewünschte und gewollte oder auch ungewollte Raumentwicklungen im Land. Dieses Jahr steht die Gemeinde Ruggell auf dem Programm und damit eines der bemerkenswertesten Naturschutzgebiete im Land: Das Ruggeller Riet, das aufgrund seiner Artenvielfalt, aber auch seiner potenziellen Bedrohtheit von den Elf-Verantwortlichen in der Ankündigung zur Samstagexkursion als «Great Barrier Reef» betitelt wurde. Wie also steht es um die Interessen von Naturschutz, Landwirtschaft, Naherholung und Erhaltung des Ruggeller Riets heute und in den kommenden Jahrzehnten?

Reisfeld oder Moorland

Um die samstägliche Diskussion auf freiem Feld anzutriggern, warf Luis Hilti zunächst einige provokante Beobachtungen in die Runde. Wäre zum Beispiel ein seinerzeit ernsthaft gemeinter Plan aus den 1960ern verwirklicht worden, dann zöge sich heute die vier Kilometer lange Landepiste eines Regionalflughafens durchs Riet, der zusammen mit dem Flughafen Hohenems regionale Flüge oder Zubringerflüge zu grösseren Flughäfen bedienen würde. Nachdem Bündner Flugplatzbetreiber mit an Bord geholt worden waren, mit denen man sich nicht einig wurde, verlief das Projekt dann letztlich im Sand, und das Ruggeller Riet wurde stattdessen als interessante und erhaltenswerte Moorlandschaft entdeckt. Andererseits erhob sich nach einem Brand in der KVA Buchs 1979 auf der Schellenberger Hangseite ein 30 Meter hoher Mülllagerplatz, der später wieder abgebaut wurde. Im Riet Richtung Rhein wurde die landwirtschaftliche Nutzung mit Torfstich-, Gras-, Weide- und teilweise Ackerwirtschaft zugunsten des Naturschutzes zurückgedrängt, nachdem man grosse Teile des Gebiets vor 43 Jahren unter Naturschutz stellte. Zum Erhalt der vielfältigen Fauna und Flora versucht man seit einiger Zeit, den sinkenden Grundwasserspiegel künstlich wieder anzuheben, was den Landschaftsökologen Mario Broggi unlängst in einer Denkschrift zur Überlegung veranlasste, dass sich das Feuchtgebiet des Ruggeller Riets eventuell sogar zum Anbau von Nassreis eignen könnte, ohne die Biodiversität des Gebiets zu gefährden.

Erholung, Tourismus, Landwirtschaft

Für die Ruggeller Vorsteherin Maria Kaiser-Eberle ist das Ruggeller Riet vor allem ein persönlicher Kraftort und ein Naherholungsgebiet zum Spazieren und Radfahren mit besonderer Fauna und Flora. Dass diese Naherholungsfunktion von Liechtenstein Tourismus als «haven of peace and tranquillity» speziell beworben wird, macht sie nicht besonders glücklich, da sie befürchtet, dass das empfindliche Naturschutzgebiet von Naturerlebnissuchenden übervölkert werden könnte. Eine weitere Befürchtung: Zahlreiche, im Riet schon heimisch gewordene Neophyten könnten die angestammte Vegetation an den Rand drängen. Wichtig ist der Vorsteherin, dass das Riet mit entsprechender Behutsamkeit für die Zukunft erhalten bleibt.
Auch die Ruggeller Künstlerin Gertrud Kohli wünscht sich eine Erhaltung der vielfältigen Formen, Farben und Strukturen des Ruggeller Riets für kommende Generationen. Bis 1993 war das Riet für die Künstlerin eine beständige Inspirationsquelle für ihre Bilder, der Unter-Schutz-Stellung der Landschaft steht sie damit positiv gegenüber. Punkto Naturschutz, den sie in einem grösseren Kontext des Schutzes von Mensch, Land und Kultur betrachtet, sieht Gertrud Kohli künftig Technik und Wissenschaft gefordert.
Der Biologe Rudolf Staub zeigte die von seinem Wissenschaftsteam erhobenen Vegetationskarten in die Runde, aus denen die aktuellen Feuchtflächen, Iris-Bestände, hochwüchsige Pflanzen und Neophyten-Verbreitung ersichtlich sind. Zugleich informierte er über die festgestellte Austrocknung der Feuchtgebiete und die Massnahmen zur Hebung des Grundwasserspiegels. Düngereinträge aus der Landwirtschaft und Stickstoffeinträge aus der Luft durch Abgase sind ebenfalls Gegenstand von Untersuchungen, ebenso wie die potenziellen Folgen der Klimaerwärmung. Aus ökologischer Sicht wünscht sich Rudolf Staub Optimierungen in der Landwirtschaft (flexiblere Grassschnittzeitpunkte und Zurückstutzen von Neophyten) sowie die technische Retention von Wasser in den austrocknungsgefährdeten Feuchtgebieten.
Der Landwirt Leo Elkuch brachte schliesslich noch die bäuerliche Perspektive in die Debatte. Die heutige Landwirtschaft erweist sich gegenüber ökologischen Themen weit offener als in früheren Jahrzehnten, muss aber auch die ökonomisch-landwirtschaftliche Seite betrachten. Am gestiegenen Methangehalt in der Luft können laut Leo Elkuch nicht die Kühe allein schuld sein, ist doch der Viehbestand in Liechtenstein seit mehr als einem Jahrzehnt deutlich gesunken. Sollte es im Zuge der Klimaerwärmung zu vermehrten Schlagwettern kommen, muss auch für Drainagen gesorgt werden. Naturwiesen können hingegen als Speicher dienen. Und punkto Ernährungssicherheit sollte auch auf lokale Versorgung geachtet werden.
Nach den vielfältigen Inputs war auf jeden Fall für genügend Gesprächsstoff in der Runde gesorgt. (jm)