Samstag, 13. Jun 2015
Kaiser-Eberle: «Ich sehe das Älterwerden unserer Bevölkerung als grosse Chance»
Interview Unter dem Arbeitstitel «Wohnen und Leben im Alter» kooperieren die Gemeinden Ruggell, Schellenberg sowie Gamprin-Bendern und wollen mit Einbezug der Bevölkerung die Herausforderungen des demografischen Wandels angehen: Nächste Woche startet dabei eine umfassende Telefonumfrage.
«Volksblatt»: Frau Kaiser-Eberle, haben Sie das Projekt «Wohnen und Leben im Alter» bereits vor Ihrer Vorsteher-Tätigkeit verfolgt?
Maria Kaiser-Eberle: Ich war natürlich an allen Veranstaltungen mit dabei – zwar nicht als offizielle Vertreterin, sondern als aktive Bürgerin. Ich bin ja auch schon «50plus» und habe das Projekt und besonders die Referate mit viel Interesse verfolgt. Am letzten Workshop nahm ich das erste Mal als Vorsteherin teil.
Ruggell hat das gemeindeübergreifende Projekt lanciert. Wird sich mit Ihnen an der Spitze etwas ändern?
Wir bleiben unserem ergebnisoffenen Plan auf jeden Fall treu. Der Projektprozess und das Ziel wurde ja schon im Voraus mit den drei Gemeinden und der Begleitfirma Sano Management AG abgesprochen, das unseren Entwicklungsprozess führt und begleitet. Es gibt jedoch verschiedene Gremien, wie etwa den Steuerungsausschuss, in welchem auch alle Vorsteher und je eine Gemeinderätin der drei Gemeinden beteiligt sind. In diesem Ausschuss besteht immer die Möglichkeit sich aktiv einzubringen.
Das Jahr 2014 stand ganz im Sinne einer Informations- und Sensibilisierungskampagne. Wie kam diese bei den Leuten an?
Aus meiner Sicht sehr gut. Ich war sehr erstaunt, wie aktiv die Bevölkerung bisher mitgemacht hat. Die Referate und der Workshop rund um das Thema «Wohnen und Leben im Alter» waren immer sehr gut besucht. Die Teilnehmenden haben sich ausgetauscht, mitdiskutiert und ihre Ideen rege eingebracht.
Was hat Ihnen an diesen Veranstaltungen persönlich am meisten
imponiert?
Ich fand die Vorstellung der verschiedenen Projekte sehr interessant. Ich erhielt einen guten Überblick, welche unterschiedlichen Wohnmöglichkeiten und weiteren Bedürfnisse es im Alter überhaupt gibt. Am meisten beeindruckt haben mich dabei die durchmischten Wohnformen, bei welchen Jung und Alt zusammenleben und dabei von den verschiedenen Ressourcen profitieren: Dass «Leben» mehr ist als nur «Wohnen», rückte immer stärker ins Bewusstsein.
Wie sieht nun der nächste Schritt im Projekt «Wohnen und Leben im Alter» aus?
Momentan holen wir Bedürfnisse, Meinungen und Inputs direkt aus der Bevölkerung ab. Diesbezüglich gibt es von Mitte Juni bis Anfang Juli eine repräsentative Telefonumfrage durch das DemoScope-Institut, das sich bei Personen von 50plus aus allen drei Gemeinden melden wird. Die Befragung dauert ca. eine Viertelstunde und evaluiert die Bedürfnisse, Erwartungen, Anliegen und Ideen. Es wäre für das Projekt bereichernd und wertvoll, wenn sich möglichst viele die Zeit nehmen und mitmachen.
Das Einbinden der Bevölkerung scheint ein entscheidender Faktor des Projekts zu sein.
Dass die Bevölkerung in den Prozess einbezogen wird, finde ich sehr wichtig. Es gab Vorträge, gibt Workshops und die Telefonumfrage. Zudem begleiten verschiedene Gremien den Prozessverlauf. Beispielsweise sind dabei die «Botschafter» zu nennen, die aus der Bevölkerung aller drei Gemeinden rekrutiert wurden. Sie begleiten das Projekt aktiv und sind ein wichtiges kommunikatives Bindeglied, um Informationen in die Gemeinden respektive in die Gremien zu bringen. Zudem wirkt eine Fachkommission, zusammengesetzt aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Institutionen, mit.
Und wann kann man mit Handfestem – etwa einem neuen Gebäude – rechnen?
Wahrscheinlich wird baulich etwas realisiert werden. Momentan werden jedoch die vielen Ideen gesammelt und in einem nächsten Schritt ausgewertet. Am 5. September findet ein weiterer Workshop im Gemeindesaal Ruggell statt. Am 25. November werden die Ergebnisse aus den Workshops und der Telefonbefragung im Gemeindesaal Schellenberg präsentiert. 2016 liegt der Hauptfokus dann auf der Ausarbeitung eines Massnahmenplans, gefolgt von Zukunftskonferenzen und weiteren Befragungen. Wir sind in einer Phase, in der noch ergebnisoffen diskutiert wird.
In Bezug auf LAK-Plätze ist das Unterland im Gegensatz zu den Oberländern schlecht bedient. Möchte man denn kein neues LAK-Haus?
Das LAK ist eine sehr gute Einrichtung und wird gebraucht. Je nach Gesundheitszustand oder körperlicher Fitness gibt es jedoch verschiedene Bedürfnisse. Zwischen vollständiger Selbstständigkeit und Pflegebedürftigkeit gibt es verschiedene Abstufungen. Auch in Bezug auf das Zusammenleben und die Freizeitgestaltung gilt es, unterschiedliche Bedürfnisse zu berücksichtigen. Deshalb evaluieren wir, was ältere Menschen brauchen. Daraus wollen wir dann die entsprechenden Massnahmen ableiten und koordinieren.
Ältere Menschen werden in Zukunft immer zahlreicher – die Pflegekosten schnellen laut Prognosen in die Höhe. Hat man deswegen das Projekt lanciert?
Wenn wir vom demografischen Wandel sprechen, dann müssen wir dieser Tatsache natürlich ins Auge schauen. Ich persönlich sehe das Älterwerden der Bevölkerung jedoch auch als grosse Chance. Die ältere Generation hat viele Ressourcen, die wir für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft nutzen können. Ebenfalls hat diese ältere Generation wesentlich zum heutigen Wohlstand beigetragen. Wichtig ist deshalb, dass wir diese Thematik bereits heute proaktiv angehen.
Dann fürchten Sie also keine Überalterung der Gemeinde?
In diesem Zusammenhang nenne ich immer gerne das Beispiel des halbvollen Wasserglases. Man kann die Sache positiv oder negativ sehen. Ich bin sehr optimistisch. Ältere Leute bergen ein riesiges Potenzial, wenn wir nur das grosse Wissen und Know-how als Beispiel nennen. Und wenn ich die Jungpensionisten von heute sehe, finde ich sie dynamisch, sportlich, aktiv und engagiert in unterschiedlichsten Bereichen. Bei Alt und Jung entdecke ich sehr viele Ressourcen und Möglichkeiten für ein «Geben und Nehmen» in der Gemeinde.
Dann könnte man auch gleich das Pensionsalter wieder hochsetzen?
Wahrscheinlich müssen wir das Pensionsalter neu denken und offener gestalten. ältere Menschen, die in grösseren oder kleineren Pensen weiterarbeiten wollen, sollen sich hierfür entscheiden können. Ebenfalls könnte das Know-how für Projekte, die zeitlich befristet sind, genutzt werden. Die ältere Generation darf man aber auf keinen Fall isoliert, sondern als Teil unserer Gesellschaft, betrachten. So können viel mehr Synergien genutzt werden. In der Kinderbetreuung und -erziehung engagieren sich beispielsweise heute schon viele ältere Menschen, was der nachrückenden Generation Chancen eröffnet.
Dann sind wir auf die Resultate der Analyse gespannt. Wie war bisher die Zusammenarbeit mit den Experten und zwischen den Gemeinden?
Neben dem Beratungsunternehmen Sano mit Manfred Batliner und Rainer Gopp, die bezüglich der Herausforderungen des demografischen Wandels über grosses Know-how verfügen, arbeiten Ruggell, Schellenberg und Gamprin Hand in Hand. So stammen die Projektleitung, der Steuerungsausschuss sowie die Botschafter aus allen drei Gemeinden. Die Fachleute bringen wertvolles Hintergrundwissen ein. Die Zusammenarbeit erlebe ich als sehr gut konstruktiv. Wir Unterländer Gemeinden, aber besonders Gamprin, Schellenberg und Ruggell, haben noch verschiedene weitere gemeinsame Projekte, beispielsweise die gemeinsame Wasserversorgung, die Forstwirtschaft und Jugendarbeit.
Ihre persönliche Meinung: Wie möchten Sie im Alter leben?
Ich wünsche mir, mich möglichst lange in meiner Heimatgemeinde engagieren zu können und in Ruggell zu leben.
Was wünschen Sie sich für die zukünftigen Veranstaltungen?
Mein Wunsch wäre, wenn auch Leute, die nicht hier aufgewachsen sind, jedoch hier wohnen und leben, sich vermehrt am Projekt beteiligen würden. Jederzeit kann man an einem Anlass teilnehmen, auch wenn vorhergehende Veranstaltungen nicht besucht wurden. Man kann sich entweder aktiv beteiligen und sich zu Wort melden oder einfach nur zuhören. Jede Form der Beteiligung trägt zum Gelingen des Projektes bei.
«Wohnen und Leben im Alter» – kurz erklärt:
Mit dem demografischen Wandel wird die Anzahl älterer Menschen stark ansteigen. Die Familienstrukturen verändern sich und die Finanzierbarkeit von Betreuung und Pflege im Alter wird ein zentrales Thema werden. Daraus wird sich ein veränderter Bedarf an Wohn- und Lebensformen ergeben, woran das Projekt «Wohnen und Leben im Alter» anknüpft. Es ist auf vier Jahre ausgelegt. 2014 standen die Weitergabe von Informationen und das Aufzeigen der gesellschaftlichen Veränderungen im Mittelpunkt. Von 2015 bis 2017 werden die Bedürfnisse, Wünsche und Anliegen der Wohnbevölkerung in die Ausgestaltung künftiger Wohn- und Lebensformen einfliessen. Die Gemeinden wollen Denkanstösse geben und den Wandel aktiv angehen.