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Presseartikel

 
Dienstag, 17. Mär 2015

«Dass Maria Kaiser-Eberle gewonnen hat, ist für die Frauen sicher ermutigend»

Wiederwahl gescheitert

Bilanz Politologe Wilfried Marxer vom Liechtenstein-Institut nennt Gründe für das schlechte Abschneiden der Freien Liste und empfiehlt, Teile des Wahlrechts kritisch zu hinterfragen.

«Volksblatt»: Die Gemeinderats- und Vorsteherwahlen 2015 sind Geschichte. Welche Ergebnisse haben Sie am meisten überrascht?

Wilfried Marxer: Das ist schwierig zu beantworten. Am ehesten wohl, dass die Frauen so schlecht abgeschnitten haben. Überraschend ist auch, dass acht bisherige Gemeinderäte nicht bestätigt wurden – davon allein in Eschen drei der VU. Als bemerkenswert sehe ich zudem den Erfolg von Maria Kaiser-Eberle in Ruggell.

Wie fällt Ihre allgemeine Wahlbilanz aus?

Wahlsieger sind in meinen Augen die Unabhängigen, die ihr Landtagsergebnis in gewisser Hinsicht bestätigen konnten und sogar noch erfolgreicher hätten sein können. In Schaan haben sie ein Mandat hergeschenkt, in anderen Gemeinden – wie etwa Gamprin oder Ruggell – hätten sie wahrscheinlich auch reüssieren können, wenn sie jemanden aufgestellt hätten. Die Folge wären weitere Verschiebungen zulasten der Grossparteien gewesen.

Wie beurteilen Sie deren Abschneiden?

Die FBP ist unter dem Strich auch ein Wahlsieger. Sie konnte die Mandatszahl annähernd halten, gewann mit Maria Kaiser-Eberle das Duell in Ruggell, mit Hansjörg Büchel dasjenige in Balzers und damit die Mehrheit bei den Vorstehern. Die VU ist Wahlverliererin, auch wenn sie mit einem blauen Auge davon gekommen ist. Die VU hatte mehr zu kämpfen als die FBP, fuhr deutlichere Verluste ein – es hätte für sie noch schlimmer kommen können. Wenn Armin Schädler in Triesenberg ein paar Stimmen mehr geholt oder DU mehr Kandidaten gefunden hätte. Verliererin der Wahlen ist natürlich auch die Freie Liste, die in drei Gemeinden das Mandat nicht halten konnte.

Die Freie Liste hat auf Kosten der Unabhängigen Federn lassen müssen. Aber wie ist das zu erklären, die beiden Parteien sprechen ja eine komplett andere Wählerschicht an?

Das stimmt schon, in Sachthemen unterschieden sich die beiden Parteien deutlich. In der Vergangenheit gab es als Alternative zu den Grossparteien FBP und VU nur zwei Möglichkeiten: Entweder gar nicht wählen oder – vielleicht auch mit gros-sem Bauchweh – die Freie Liste unterstützen. Nun haben Leute, die in Distanz zu den Traditionsparteien stehen, auch DU zur Auswahl. Ein paar dieser Stimmen wären sonst wohl bei der Freien Liste gelandet.

Die Freie Liste scheint in den vergangenen Jahren an Profil verloren zu haben. Im Landtag schlüpft sie immer öfter in die Rolle eines möglichen Regierungspartners, auf Gemeindeebene ist sie auch kaum noch präsent. Täuscht dieser Eindruck?

Verglichen mit den Unabhängigen wirkt die Freie Liste in der Tat etwas brav und vielleicht auch profillos. Die Weissen haben zwar ganz spezifische, programmatische Positionen – diese sind aber schon hinlänglich bekannt und rütteln niemanden auf. Die Unabhängigen sind plakativer, kantiger und aggressiver. Sie picken sich Themen raus, sind forsch in ihren Forderungen und Analysen. DU rüttelt auf und sorgt damit für Diskussionen.

Mit Maria Kaiser-Eberle hat Liechtenstein erstmals seit 20 Jahren wieder eine Vorsteherin, gleichzeitig sank die Frauenquote im Gemeinderat auf klar unter 20 Prozent. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse aus Sicht der Frauen?

Dass Maria Kaiser-Eberle gewonnen hat, ist für die Frauen sicher ermutigend. Erfreulich ist auch, dass immerhin 30 Prozent aller Kandidaten Frauen waren. Dass am Ende allerdings so wenig Frauen den Sprung in den Gemeinderat schafften, ist desillusionierend. So werden es sich die Frauen in Zukunft noch genauer überlegen, ob sie sich zu einer Kandidatur entschliessen sollen.

Worauf führen Sie das überdurchschnittlich hohe Wegstreichen von Frauen zurück?

Die Platzierung ist ja ein Ergebnis von Streichen und Sympathiestimmen. Frühere Nachwahlbefragungen und Analysen lassen den Schluss zu, dass die Sensibilität für das Thema «Frauen in der Politik» nicht mehr so ausgeprägt ist wie früher. Wobei sich die Parteien ja um weibliche Kandidaten bemühen ...

... ohne grossen Erfolg, wie nicht nur das reine Männerteam der Unabhängigen zeigt. Wobei es für die Parteien allgemein schwieriger wird, Personen für die Politik zu gewinnen.

Ja, dieses Problem manifestiert sich immer mehr und verheisst für die Zukunft wenig Gutes. Das hat sich nicht nur in Schaan bei den Unabhängigen gezeigt, auch in Planken, Ruggell oder Gamprin ging die Zahl der Kandidaten kaum über die Zahl der zu vergebenden Mandate hinaus – wegen der Absenz der Kleinparteien einerseits, der minimalistischen Listen der VU andererseits.

Weshalb lassen sich immer weniger Männer und Frauen für ein politisches Amt motivieren und rekrutieren?

Ein Grund für das abnehmende Interesse dürfte sein, dass ein vierjähriges Engagement den heutigen, individuellen Lebensentwürfen widerspricht. Man muss bereit sein, etwa jeden zweiten Dienstagabend im Gemeinderat zu sitzen, bei jedem Musikfest anwesend zu sein, in der Öffentlichkeit zu stehen, kritisiert und eventuell abgewählt werden, um es etwas pointiert auszudrücken. Viele scheuen sich das Exponiertsein und haben auch Respekt vor einer allfälligen Nichtwahl.

Und wie könnte diese Entwicklung gestoppt werden?

Vielleicht indem die Ämter attraktiver gestaltet werden, dass Vorsteher und Verwaltung vielleicht mehr Kompetenzen erhalten und der Gemeinderat von einigen exekutiven Aufgaben entlastet wird. Das sind freilich nur spontane Ideen – am besten wäre es, eine Arbeitsgruppe zu bilden, um sich hierüber eingehend Gedanken zu machen.

Zu reden gab am Wahlsonntag auch das Ergebnis in Balzers, wo die VU stimmenmässig nur zweitstärkste Partei wurde, dank Wahlarithmetik aber die Mehrheit im Gemeinderat stellt. Muss das Wahlsystem reformiert werden?

Das Ergebnis in Balzers ist ja kein Fehler im Wahlsystem. Dennoch könnte grundsätzlich hinterfragt werden, inwiefern die Restmandatsverteilung oder das Grundmandatserfordernis stimmig sind. Ausserdem könnten Gemeinderats- und Vorsteherwahl komplett getrennt werden. Aktuell wird ein Vorsteher in die Mandatsverteilung hineingerechnet und dies kann sich negativ für die betreffende Partei auswirken.

Zum Schluss noch nach Vaduz. Wie erklären Sie es, dass Bürgermeister Ewald Ospelt mit deutlicher Mehrheit wiedergewählt wurde, die FBP einen Mandatszuwachs feiern konnte, das Projekt «Gnuag Platz för alli» aber trotzdem bachab geschickt wurde?

An Vaduz zeigt sich in meinen Augen der grosse Vorzug der direkten Demokratie. Hier werden Sachthemen von der Wahlebene in eine andere Arena verfrachtet und separat abgestimmt. Das entlastet die Politik, Wahlen dienen weniger stark der persönlichen und politischen Abrechnung. Weshalb Vaduz Nein gesagt hat zum Zentrumsprojekt, ist für mich schwer abzuschätzen. Vielleicht haben es momentan Projekte, die mit grossen Ausgaben verbunden sind, schwer – obwohl in Vaduz eigentlich genug Geld vorhanden wäre.

«Verglichen mit den Unabhängigen wirkt die Freie Liste in der Tat etwas brav und vielleicht auch profillos.»

Wilfried Marxer

Direktor Liechtenstein-Institut

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