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Presseartikel

 
Samstag, 26. Jul 2014

Ernst Büchel: «Hinsichtlich der alternden Gesellschaft herrscht noch dichter Nebel»

Interview Unter dem Arbeitstitel «Wohnen und Leben im Alter» kooperieren die Gemeinden Ruggell, Schellenberg sowie Gamprin-Bendern und wollen mit Einbezug der Bevölkerung die Herausforderungen der Zukunft angehen und diese annehmen. Ernst Büchel, Vorsteher von Ruggell, gab ausführlich Auskunft zum Projekt.

«Volksblatt»: Herr Büchel, was erwarten Ruggell, Schellenberg und Gamprin von dem gemeindeübergreifenden Projekt?

Ernst Büchel: Wir setzen den Hauptfokus auf die Wohnformen im Alter und wollen die Konsequenzen des demografischen Wandels auf unsere Gemeinden evaluieren. Dabei sind uns der intensive Austausch mit der Bevölkerung und der direkte Einbezug aller Menschen, insbesondere der über 50-Jährigen, ein zentraler Faktor. Wir wollen mit den Menschen ihre und die soziale und gesellschaftliche Zukunft in unseren Gemeinden gestalten. Die immer grössere Anzahl älterer Menschen und die steigende Lebenserwartung wird auch tendenziell die Anzahl an benötigten Pflegeplätzen steigern. Bei frühzeitiger Inangriffnahme des Themas erhoffen wir gute Alternativen zu finden, diesen Trend zu brechen. Es geht prinzipiell nicht um ein grosses Bauprojekt, sondern Ideen sammeln und Bedürfnisse erheben steht im Vordergrund.

Das Projekt ist auf vier Jahre
angesetzt. Ist so viel Zeit denn
überhaupt nötig?

Das Thema ist nun mal sehr umfangreich. Da reicht ein einfacher Workshop einfach nicht aus. Seien wir ehrlich, momentan herrscht hinsichtlich der Konsequenzen einer alternden Gesellschaft vor allem eines: Dichter Nebel.

Wie ist das Projekt entstanden?

Unsere Seniorenkommission stellte einen Antrag, dass man sich in der Gemeinde vermehrt mit dem Thema «Alter und Wohnen» befassen soll. Zudem zeigten die Bedarfsanalysen der Liechtensteinischen Alters- und Krankenhilfe (LAK) auf, dass das Unterland in der Hinsicht auf Pflegeplätze benachteiligt sei, denn im Oberland besitzt jede Gemeinde bereits einen LAK-Standort oder entsprechende Alterswohnungen. Im Unterland gibt es für die fünf Gemeinden gerade einmal ein solches – auf 13 000 Einwohner sind es 56 Plätze. Dass Unterländer zur Pflege in das Oberland ausweichen mussten, führte in der Vergangenheit immer wieder zu Diskussionen. Die Aussage, dass unsere Senioren in ihrer Heimatgemeinde bleiben können, hat – wie in anderen Gemeinden auch – durchaus seine Berechtigung. Und dies nicht nur, wenn jemand Pflege benötigt, sondern in der ganzen Phase des Älterwerdens.

Welche Projektphasen wurden bereits durchlaufen?

Nachdem wir die Notwendigkeit des Themas erkannten, knüpften wir bereits 2012 erste Kontakte zum Beratungsunternehmen Sano. Rainer Gopp und Manfred Batliner verfügen über grosses Know How bezüglich der Herausforderungen des demografischen Wandels. Sano erarbeitete ein passendes Konzept, welches von den Gemeinderäten genehmigt wurde. Danach wurde ein Steuerungsausschuss mit den Vorstehern an der Spitze gebildet, der für die Organisation zuständig ist. Es folgte die Schaffung eines Fachbeirats zur Nutzung von Synergien und Einbezug des in Liechtenstein vorhandenen Wissens, dem etwa das LAK, die Familienhilfe oder der Seniorenbund angehören. Und nicht zuletzt wurden Botschafter aus der Bevölkerung der drei Gemeinden rekrutiert, die das Projekt aktiv begleiten und eine wichtige Funktion in der Kommunikation der Bevölkerung übernehmen.

Die Einbindung der eigenen Leute scheint ein wichtiger Faktor zu sein.

Richtig, wir wollen deren Meinungen und Stimmungen ganz genau kennenlernen. Der demografische Wandel mag das eine sein, aber ebenso wichtig ist es, die Bedürfnisse der Menschen zu erkennen und abzudecken. So laden wir auch jeden Einwohner über 50 zu den Informationsveranstaltungen ein und wollen zum Mitwirken animieren. Bei einer ersten Bedürfnisbefragung haben knapp 40 Prozent aller über 50-Jährigen aus den drei Gemeinden mitgemacht. Darüber waren wir sehr erfreut und das bestätigte uns die Wichtigkeit des Themas. Die Auswertung soll eine Grundlage für die Planung des Projektes sein: Was denken unsere Bürger und wie wollen sie überhaupt leben?

Eine gute Sache, warum machen die anderen Unterländer Gemeinden nicht mit?

Es war klar, dass sich Eschen nicht interessiert zeigte, weil sie bereits einen LAK-Standort haben und Mauren vor Kurzem ein eigenes Projekt lancierte. Dort wird bald ein Wettbewerb zu einem eigenen LAK stattfinden. Zu unseren Veranstaltungen sind aber alle, auch aus diesen Gemeinden, eingeladen.

Will man mit LAK konkurrieren?

Natürlich nicht! Das Alter und seine Herausforderungen fangen nicht mit dem Eintritt in die LAK an. Es gibt viele Zwischenstufen, bis jemand aus Altersgründen Pflege benötigt. So gilt es, die häusliche Pflege, also Zentren, die nicht 100 Prozent betreut sind, oder etwa Alterswohnungen, die barrierefrei gestaltet sind, zu stärken – oder beispielsweise das Zurverfügungsstellen eines Mahlzeitendienstes. Diese verschiedenen Stufen und die jeweiligen Herausforderungen gilt es genau zu evaluieren – von Beginn der Pension bis hin zur Pflegebedürftigkeit.

Die erste Veranstaltung trug den Titel «Ergrautes Liechtenstein – Glücksfall oder Störfall?». Ist Altern nun positiv oder negativ?

Glücksfälle gibt es viele: Man wird immer älter und lebt dabei auch länger gesünder. Ein weiterer kann sein, dass man sich als gesunde Grosseltern an der Erziehung beteiligen kann – und als Dritten sehe ich das gemeinsame Altwerden.
Ein Störfall bzgl. der Demografieentwicklung ist beispielsweise dessen Finanzierung. Wie sollen die AHV und die Pensionskassen auf die Prognosen reagieren. Sie sind sonst in Zukunft einfach nicht mehr bezahlbar. Und wenn dann das Sozialsystem nicht mehr funktioniert, fallen wir zurück in die Armut.

Dann nimmt der demografische Wandel in der Gemeinde Ruggell einen sehr hohen Stellenwert ein?

Natürlich ist er für uns ein sehr brennendes Thema. Die Gemeinde selbst kann jedoch nicht einfach dagegenwirken. Der demografische Wandel ist gegeben: Er kam, weil sich etwa die Familienstruktur geändert und nun die geburtenstarken Jahrgänge langsam ins Pensionsalter kommen. Ähnliche Herausforderungen sehen wir ebenfalls im Bildungs- und Erziehungssystem. Das alles vorrauszuplanen ist sehr schwierig.

Dann sind die veränderten Familienstrukturen ein Stosspunkt?

Früher war es meist jemand aus der Familie, der die Eltern im Alter pflegte. Im Gegensatz machen die vermehrten Fälle der Alleinerziehung, egal ob auf männlicher oder weiblicher Seite, im Altwerden Probleme – auch in Hinsicht auf die soziale Verarmung. Dass vor allem Senioren die Gesellschaft – gelinde gesagt – verlassen und sich zurückziehen, gilt es zu verhindern.
Ein Gegenspieler ist dabei das Vereinswesen. Aber auch dieses hat heute nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher. Das Vereinsleben wird sich in der Zukunft genauso schwertun, wie das Altwerden auch. Denn heute ist selbst die Freizeitgestaltung eine individuelle. Viele wollen etwa nicht mehr in einem Sportverein aktiv sein, sondern trainieren lieber allein im Fitnesszentrum. Aber auch an kulturellen Veranstaltungen ist das zu spüren: Leute gehen nicht mehr an eine Vereinsunterhaltung oder ein Konzert – ohne Auswärtige bringt man selbst in Ruggell keinen Saal mehr zu füllen. Das sind nur einige Indizien, dass sich die Leute zurückziehen und den Anschluss an die Gesellschaft verlieren. Es gilt, die Leute zu bewegen und sie darauf aufmerksam zu machen. Wir wollen keine Schlafgemeinde, sondern eine mit aktiver Beteiligung sein!

Ist das nicht ein starker Eingriff in das Leben jedes Einzelnen?

Nicht unbedingt. Meiner Meinung nach kann man durchaus mit der Schaffung des Bewusstseins zum Thema etwas tun. Dazu sind Fachleute nötig, die die Bevölkerung auf die Problematiken aufmerksam machen, sensibilisieren und an Veranstaltungen aufklären. Die erste von dreien in diesem Jahr hat bereits im April mit 200 Interessierten stattgefunden. Die nächste folgt am 21. August in Schellenberg. Dort stellen Experten vor, wie die Tücken des Alltags einfacher und leichter gemeistert werden können und präsentieren verschiedene Wohnmodelle im Alter.

Und was folgt die nächsten Jahre?

Der Fokus für 2015 ist für die Analyse reserviert, etwa der Bevölkerungsumfrage. Es wird aber weiterhin Veranstaltungen geben, welche die vorhergehenden Ideen bündeln. Dann folgen die Präsentation der Ergebnisse im nächsten Jahr und die Erstellung eines Massnahmenplans. Es wird also noch eine Zeit dauern, bis man sagen kann, was zu tun ist. 2018 ist dann eine weitere Standortbestimmung geplant und die Umsetzungsplanung kann anlaufen. Natürlich wird es am Schluss vermutlich eine Art Checkliste geben, die unseren Weg auf der richtigen Schiene vorgibt. Bis dahin sollte sich der Nebel gelichtet haben.

Nächste Veranstaltung zum Thema

Titel: «Die Tücken des Alltags einfacher und leichter meistern»
Zeit: Am 21. August 2014 um 18.30 Uhr (Türöffnung ab 18 Uhr)
Ort: Im Gemeindesaal Schellenberg
Referenten: Felix Bohn ist Architekt und ausgewiesener Fachspezialist auf dem Gebiet der Alterswissenschaften. Er wird verschiedene Wohnmodelle im Alter vorstellen und aufzeigen, wie sich das Wohnen für ältere Menschen mit einfachen Hilfsmitteln angenehmer und leichter gestalten lässt. Paul Locherer, Landtagsabgeordneter und ehemaliger Bürgermeister von Amtzell (D), wird anschliessend neuartige Wohn-Projekte aus seiner Heimat vorstellen, wie z.B. das Generationen-Dorf in ländlicher Umgebung sowie das Jung-Alt-Konzept.

Anmeldung und weitere Informationen zum Projekt unter www.rugas.li