Dienstag, 19. Nov 2013
Ruggell hat Krisen durch harte Arbeit gemeistert
«Lättaknätter» Die nördlichste Gemeinde liegt eingebettet zwischen Rhein und Eschnerberg, umgeben von weitläufigen Rietlandschaften. Und sie profitiert von besonders viel Sonne.
Ruggell wird erstmals im Jahre 933 urkundlich mit dem Namen «roncale» erwähnt, was so viel wie Reute oder Rodungsfläche bedeutet. Mit zunehmendem alemannischem Einfluss wandelte sich die Bezeichnung zum heutigen Ruggell. Die Gemeinde hat eine bewegte Geschichte vorzuweisen, obschon sie über die Jahrhunderte von unzähligen Katastrophen heimgesucht wurde.
«Die Fleissigsten im Land»
Die alemannischen Zuzügler schätzten die fruchtbaren Schwemmböden entlang der verschiedenen Rheinarme – es gab gutes Ackerland im Überfluss, das Bauerntum florierte. Landvogt Josef Schuppler beschreibt im Jahr 1815: «In Ruggell werden im May und Juny alle Samstage Viehmärkte gehalten. Die Einwohner sind die fleissigsten im Land und leben von Viehzucht, Feldbau, besonders aber vom Flachsbau.» Feuerholz war knapp, deshalb würde Torf zur Feuerung verwendet, welcher im Gemeinderied gestochen wird. Der Rhein, Grund für die guten landwirtschaftlichen Erträge, brachte das Dorf aber mehr als einmal an den Rand des Ruins. Schon 1206 wurde erstmals ein Hochwasser erwähnt, als die Kirche in Lustenau weggeschwemmt wurde. Damals war der Fluss unberechenbar und der Mensch hilflos den Naturgewalten ausgeliefert. Die Ruggeller kämpften jedoch gegen den Strom und erbauten Wuhren, die den Rhein unter Kontrolle bringen sollten. Deshalb wurden Abkommen mit anderen Gemeinden getroffen, die bei deren Errichtung helfen sollten, was manchen Streit auslöste.Nichtsdestotrotz brachen die Wassermas-sen immer wieder durch.
«Jetzt kommt der Rhein»
Das letzte Mal am 25. September 1927, als der Rhein, durch tagelange Regenfälle angeschwollen, den Damm bei Schaan zerbarst. Die Zerstörungen waren gewaltig, besonders in Ruggell. Meterhohe Wassermassen wälzten sich durch das Dorf, rissen ganze Häuser und Ställe mit sich und überfluteten Fluren, Äcker und Wiesen. Aber wie durch ein Wunder kam in Ruggell niemand ums Leben. Ein Grossteil der Bevölkerung konnte sich noch rechtzeitig mit Familie und Vieh auf den Schellenberg retten. Eine zurückgebliebene Augenzeugin berichtete: «Ich war daheim, als mein Vater meinte, jetzt kommt der Rhein – er ist nicht mehr zu halten. Wir waren im Haus, als das Wasser hereinbrach. Daraufhin konnten wir die Tiere noch ins Haus und die Kartoffeln vom Keller in den Estrich bringen. Wenig später nahte der Winter, dann wurden wir von Schiffen abgeholt.» Als nach beinahe drei Monaten die Dämme mit grosszügiger Hilfe aus dem In- und Ausland wieder instandgesetzt wurden und das Wasser sich zurückzog, kehrten die Menschen in ihre Häuser zurück. Sie fanden ihre Lebensgrundlage zerstört. Das «Volksblatt» schrieb nach dem Dammbruch: «Die fruchtbarsten Gegenden sind heute ein schmutziger See. Die Arbeit unserer Väter und Vorfahren ist vernichtet, die Rheinwuhre auf- und eingerissen, Strassen eingebrochen und verschüttet. Was Männer in jahrzehntelanger zäher Bauernarbeit dem Boden abgerungen haben, einen spärlichen Ertrag, um sparsam zu leben, ist auf lange hinaus dahin.» Doch die Ruggeller gaben nicht auf und arbeiteten mit ihrer typischen Zähigkeit an der Beseitigung der Schäden. Dramatisch wurde vor Augen geführt, dass mit dem Bau eines Kanals nun nicht mehr zugewartet werden durfte – ein Gutes im Schlechten: Projekte, die jahrelang zerredet, wegen politischer oder persönlicher Querelen verschleppt, wurden mit energischer Hand angepackt.
Ruggell blüht auf
Heute hat der Rhein seinen Schrecken sowie die Landwirtschaft an Bedeutung verloren. Inzwischen prägen, neben den traditionellen Gewerbebetrieben, moderne, zukunftsgerichtete Unternehmen zunehmend das Bild der Gemeinde. Der Wirtschaftsstandort kann von seiner guter Lage und Infrastruktur profitieren, wie etwa dem direkten Autobahnanschluss im Dreiländereck.
Auch das Freizeitleben und die Kultur blühen in Ruggell auf. Besonders stolz sind die Bewohner auf die 2002 errichtete Sport- und Freizeitanlage Widau, die zu den modernsten der Umgebung gehört und eine Vielzahl an sportlicher Betätigung ermöglicht. Kulturell ist vor allem das Küefer-Martis-Huus erwähnenswert. Das Haus aus dem 18. Jahrhundert wurde neu renoviert und ebenfalls 2002 eröffnet. Der Begegnungsort ist ein Museum und Zeitzeuge der heimischen Kultur – es sind zudem Gerätschaften aus vergangener Zeit ausgestellt. Ebenfalls ein Blickfang: Das neue Musikhaus, wo Räumlichkeiten für die Harmoniemusik oder die beiden ortsansässigen Chöre sowie der Singgruppe Gamprin-Ruggell zur Verfügung stehen.
Quellen: www.ruggell.li; «Ruggell am Rhein» von Johann Oehry